Standards und Labels im nachhaltigen Bauen

Erkenntnisse aus einer Umfrage

In meiner Masterarbeit untersuchte ich die Frage, was die Bauunternehmen im Hochbau in der Schweiz daran hindert, Standards und Zertifizierungen im nachhaltigen Bauen anzuwenden. Denn das Thema nachhaltiges Bauen ist aktuell. Die grossen Unternehmen überbieten sich mit Nachrichten zu CO2-Speicherung, rezyclierten Materialien oder Energieeffizienz. Es besteht Einigkeit: Das nachhaltige Bauen muss gefördert werden. Es führt kein Weg daran vorbei in eine klimaangepasste, resiliente und biodiversitätsfördernde Immobilienzukunft.


Klammerbemerkung: Ich schicke voraus, dass Standards und Labels Mittel zum Zweck sind. Durch eine Zertifizierung im nachhaltigen Bauen wird bescheinigt, dass eine Überprüfung des Bauwerks (oder des Prozesses) anhand der entsprechenden Kriterien stattgefunden hat und diese eingehalten sind. Das Label hilft Konsumentinnen und Konsumenten bei der Kaufentscheidung. Würden die Standards mehrheitlich (auch ohne Zertifizierung) umgesetzt, würde das dazugehörige Label im Endeffekt überflüssig.


In der Schweiz gibt es rund 25 verschiedene Labels im nachhaltigen Bauen. Einige fokussieren auf die Energieeffizienz, andere haben eine weitergefasste Betrachtungsweise des nachhaltigen Bauens. Weshalb aber kommt nun das nachhaltige Bauen nur langsam in Fahrt? Die Zahlen zeigen, dass die Nachfrage nach Zertifizierungen gering ist. Aktuell (Stand 19.07.2023, Verein Minergie) sind 56’199 Objekte (provisorisch) Minergie zertifiziert und 2’300 Gebäude haben den (provisorischen) ECO-Zusatz, der die beiden Themen Gesundheit und Bauökologie berücksichtigt, und 17 Gebäude haben ein SNBS-Zertifikat. Als Vergleich: jährlich werden 2021 wurden 10’051 neue Gebäude oder 45’307 Wohnungen erstellt.


Zwei Aspekte scheinen mir zur Beantwortung der Frage besonders wichtig: das Verständnis von Nachhaltigkeit bzw. nachhaltigem Bauen sowie Beweggründe, Standards oder Label anzuwenden.


Auf die Umfrage im Rahmen meiner Masterarbeit haben 125 Deutschschweizer Bauunternehmen aus dem Hochbau geantwortet.




Nachhaltigkeit im Unternehmen ist bei allen ein Thema. Fragt man nach, welche Aspekte der Nachhaltigkeit im Vordergrund stehen, sind es die sozialen wie Arbeitssicherheit, Weiterbildungsmöglichkeiten und Gesundheitsförderung. Die Verwendung (nachhaltig) zertifizierter Produkte, Einsatz erneuerbarer Energien oder der Wasserverbrauch fallen in der Bedeutung zurück. Daraus ergibt sich die Frage, wie Nachhaltigkeit im Unternehmen verstanden wird und in der Konsequenz, was nachhaltiges Bauen bedeutet.


Klammerbemerkung: Mein Verständnis des nachhaltigen Bauens ist umfassend. Es bildet die drei Dimensionen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt ab und geht über Energieeffizienz, CO2-Reduktion und eine vorgelagerte Wirtschaftsprüfung hinaus. Ein wichtiger Punkt ist die Lebenszyklusbetrachtung von der Planung bis zum Rückbau. Darin versteckt sich nicht nur ein möglichst in Kreisläufen organisierter, sparsamer Ressourcen- und Materialverbrauch, sondern auch Aspekte wir Nutzungsflexibilität und gestalterische Qualität, damit die Nutzungsphase der Gebäude verlängert werden kann. Darauf aufbauend kommt die Suffizienz. Wie viele und welche Gebäude benötigen wir tatsächlich? Unter Suffizienz ist ebenfalls der gemässigte Bodenverbrauch zu verstehen; nicht nur in der Anzahl Quadratmeter, sondern auch in der Platzierung. Die bestimmt, welche weiteren Infrastrukturen für die Erschliessung (beim Bau und im Betrieb) nötig sind.


Zurück zu den Standards und Labels: Die Bauunternehmen wurden gefragt, was sie motivieren würde, Standards im nachhaltigen Bauen umzusetzen. Für viele ist die eigene Wertvorstellung der Antrieb und dass sie damit einen Beitrag an Umwelt und Gesellschaft leisten können. An erster Stelle wurde jedoch der Auftraggeber als Motivationsfaktor genannt. Gebremst werden die Unternehmen gemäss eigener Aussage durch die Unübersichtlichkeit der Labels und die hohen Kosten. Ebenfalls wird die mangelnde Nachfrage von aussen – sprich auch hier der Auftraggeber – vermisst. So sind zwei Drittel der Meinung, dass die Nachhaltigkeit des ausführenden Bauunternehmens als mögliches Auswahl- oder Zuschlagskriterium bei der Vergabe von Bauleistungen berücksichtigt werden sollte und somit wieder der Auftraggeber in die Pflicht genommen würde.


Eine klare Mehrheit ist der Meinung, dass die Bedeutung von Standards und Labels in den nächsten fünf Jahren zunehmen wird. Zertifizierungen im Neubau werden als am stärksten zukunftsweisend und rentabel eingeschätzt.


Ein letztes klares Resultat ist, dass dazu einige wenige Labels genügen würden. Es ist im Mittel nur mässig wichtig, eine grosse Vielfalt zur Auswahl zu haben. Insbesondere für die kleinen Unternehmen spielt die Vielfalt eine untergeordnete Rolle. Diese Einschätzung spiegelt sich auch im Ergebnis, wenn die Bekanntheit oder Nutzung der Labels in der Schweiz abgefragt wird. Nur Minergie(-P/-A)-ECO ist breit bekannt (Anteil «kenne ich nicht» 8.5%). Im Durchschnitt lag der Anteil «kenne ich nicht» bei 36.4% bei den vier ausgewählten Labels (SNBS 38.8%, SméO 53.6%, DGNB 44.6%). Der Anteil Nennungen, dass der Standard «nie» angewandt wird, lag im Durchschnitt über die vier Labels bei 29.4% (SNBS 30.0%, SméO 38.1%, DGNB 37.4%, Minergie 12.2%).




GEAK, Minergie und SNBS sind mit ihren Bestrebungen zur Vereinfachung und Konzentration auf dem richtigen Weg. Bereits letztes Jahr hatten sich die beteiligten Akteure darauf geeinigt, sich gemeinsam klarer zu positionieren und die Zertifizierung zu vereinfachen. Das nimmt eine der Empfehlungen auf, welche ich aus den Ergebnissen der Untersuchung abgeleitet habe. Um das nachhaltige Bauen mit Standards und Zertifizierungen zu fördern, ist eine Kombination von Massnahmen am erfolgversprechendsten:


  • Beibehalten der Freiwilligkeit der Labels, um Nachhaltigkeit als Überzeugung zu verankern,
  • Vorreiterrolle staatlicher Bauherren in der Forderung einer nachhaltigen Bauweise,
  • Unterstützung über staatliche Regulierungsprozesse,
  • Reduktion der Komplexität des Labelangebots,
  • Förderung der Aus- und Weiterbildung v.a. der zu Beginn des Planungsprozess stehenden
  • Fachkräfte generell zum nachhaltigen Bauen und zu den Standards.

Hier können Sie die ganze Masterarbeit von Christine Gubser herunterladen:

Standards und Zertifizierungen im nachhaltigen Bauen Ursachenanalyse für die geringe Anwendung: 


Standards und Labels im nachhaltigen Bauen
sanu future learning ag, Christine Gubser 1. August 2023
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