Partizipation bedeutet Kommunikation und Beziehungsarbeit

In Planungsprozessen, bei grossen Infrastrukturprojekten, Arealentwicklungen oder der Umgestaltung von Grünflächen wird immer häufiger ein partizipativer Ansatz verfolgt.

Guter Wille allein reicht nicht – Partizipationsprozesse müssen mit konkreten Zielen, den relevanten Akteuren und passenden Methoden durchgeführt werden und bedingen viel Kommunikationsarbeit.


Formelle vs. informelle Beteiligungsprozesse

Gewisse Beteiligungsprozesse sind gesetzlich vorgegeben. Zur formellen Mitwirkung gehören beispielsweise Entscheide, die an Gemeindeversammlungen gefällt werden oder öffentliche Bauauflagen. Handlungsleitend sind dabei entsprechende gesetzliche Bestimmungen, die Legitimierung stattlichen Handelns, Transparenz bei behördlichen Entscheidungen sowie die angemessene Berücksichtigung unterschiedlicher Akteursinteressen. Dies führt zu einer grösseren Planungssicherheit und Gleichbehandlung.


Informelle Partizipationsprozesse hingegen sind nicht gesetzlich vorgegeben, werden aber bei der Erarbeitung von Planungsgrundlagen (Leitbilder, Entwicklungsstrategien oder Masterplänen) oder in konkreten Projekten zunehmend eingesetzt. Dabei geht es u.a. darum, Ansprüche zu klären, Ideen zu sammeln, Konflikte zu benennen, Ziele zu definieren, Entwicklungsmöglichkeiten zu diskutieren und Ergebnisse zu prüfen. Dies führt in der Regel zu einer Erweiterung der Problemsichten, einem stärkeren Engagement der Akteure, einer Effizienzsteigerung sowie robusteren und nachhaltigeren Ergebnissen. Partizipationsprozesse ermöglichen es Planer_innen, ihr eigenes Bild eines Ortes an den Bildern der Anwohnenden und zukünftigen Nutzenden zu spiegeln und einem «Reality Check» zu unterziehen.



Partizipation gehört zur DNA des Kleinstädtchens Lichtensteig


Partizipation bedeutet in erster Linie Freiwilligkeit. Deshalb sind eine wertschätzende Haltung, Verbindlichkeiten, eine transparente Kommunikation, ausgeglichene Machtverhältnisse und ein gleichberechtigter Austausch zwischen Generationen, Professionen und Hierarchiestufen zentrale Grundsätze. Bei der Partizipation geht es um Mitbestimmung, Entscheidungsfindungsprozesse und den damit verbundenen Diskurs. Reine Informationsvermittlung oder Anhörung werden deshalb eher als Vorstufen der Partizipation betrachtet.


Das Ziel führt zur Methode

Dialogprozesse müssen mit konkreten Zielen, zum richtigen Zeitpunkt, mit den relevanten Stakeholdern und passenden Methoden geführt werden. Allzu oft setzen sich die Projektverantwortlichen zuerst mit dem «Wie?», also methodischen Fragen auseinander und vergessen, dass für eine erfolgreiche Partizipation zuerst geklärt werden sollte, warum und wozu ein solcher Prozess durchgeführt werden soll. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit dem eigenen und anderen Partizipationsverständnissen. Als Raumplanerin möchte ich vor allem den Planungsprozess optimieren und den Raum bedarfsgerecht gestalten. Und während der Sozialarbeiter im Quartiertreff die Anwohner_innen zur politischen Einflussnahme befähigen und aktiveren möchte, geht es der zuständigen Gemeinderätin vor allem darum, politische Entscheidungen zu legitimieren und das Gemeinwohl zu stärken.



Goldene Regeln eines Partizipationsprozesses


Zur Auseinandersetzung mit Zweck und Zielen der Partizipation gehört auch die Frage, ob ein partizipatives Vorgehen überhaupt sinnvoll ist und genügend Handlungsspielraum besteht. Ist dieser nicht gegeben – können die einbezogenen Akteure beispielsweise nur noch über die Farbe der Sitzbänke entscheiden – führt ein partizipatives Vorgehen nur zu Frustration und Resignation und macht deshalb kaum Sinn.


Einen «richtigen» Zeitpunkt für den Einbezug der betroffenen Akteure gibt es nicht. Je früher dieser geschieht, desto grösser ist in der Regel der Handlungsspielraum. Handelt es sich jedoch um ein langjähriges Projekt, müssen sich die Verantwortlichen sehr gut überlegen, zu welchem Zeitpunkt welche Akteure miteinbezogen werden. Die Gefahr besteht, dass anfänglich motivierte Mitwirkende abhängen, weil sie keinen Fortschritt erkennen oder nicht genügend darüber informiert wurden.


Mobilisierung bedingt unterschiedliche Kommunikations- und Partizipationsgefässe

Partizipation ist vor allem Kommunikations- und Beziehungsarbeit. Diese beginnt mit der Akteurs- und Netzwerkanalyse und anschliessenden Mobilisierung der betroffenen Akteure. Dabei ist es wichtig, unterschiedliche analoge und digitale Kommunikationskanäle zu nutzen, eine einfache, verständliche Sprache zu wählen und Schlüsselpersonen zu aktivieren. Um Bedürfnisse und Vorstellungen einer möglichst breiten Bevölkerung abholen zu können, ist es sinnvoll und wünschenswert, verschiedene Partizipationsgefässe, -methoden und -termine miteinander zu kombinieren. Die Erfahrung zeigt beispielsweise, dass Abendveranstaltungen eher ein männliches Publikum mittleren bis höheren Alters anziehen, während jüngere Menschen häufiger digitale Mitwirkungsmöglichkeiten nutzen.



Workshops vor Ort ermöglichen den direkten Kontakt mit der Bevölkerung


Für die Umgestaltung des Unteren Schüss-Quais hat die Stadt Biel eine fachliche Begleitgruppe eingesetzt, die sich in mehreren Workshops zu den Projekteingaben im Rahmen des Landschaftsarchitekturwettbewerbs äussern konnte. Der Diskurs mit der Bevölkerung wurde u.a. durch temporäre Installationen wie die Sommerinsel 2019 initiiert und mit geführten Abendspaziergängen, öffentlichen Informationsveranstaltungen und samstäglichen Workshops weitergeführt. So konnten unterschiedliche, auch ältere Bevölkerungsgruppen einbezogen werden.


Migrantinnen und Migranten sind aufgrund kultureller Unterschiede und sprachlicher Barrieren oftmals schwierig zu mobilisieren. Hier spielen einerseits Schlüsselpersonen, die in den jeweiligen communities gut vernetzt sind, sowie die Schulen, welche via Kinder an die fremdsprachigen Eltern gelangen können, eine wichtige Rolle. Und es braucht niederschwellige Gefässe, die einen direkten Kontakt zur Bevölkerung ermöglichen. In Frauenfeld haben Sabina Ruff, Leiterin der Abteilung Sozialraum, und ihr Team auf eine mobile Café-Lounge gesetzt, mit welcher sie durch die Quartiere gezogen und mit den Menschen vor Ort ins Gespräch gekommen sind.


E-Partizipation als Ergänzung zur analogen Mitwirkung

Immer mehr Gemeinden und Städte entdecken das Potential internetgestützter Bürgerbeteiligung. Mittlerweile gibt es eine Fülle an kostenpflichtigen und open source Plattformen, die es ermöglichen, mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten, Rückmeldungen einzuholen und Anliegen zu sammeln. Mit der E-Mitwirkung von Konova ag lassen sich beispielsweise strukturierte Rückmeldungen zu Konzepten, Leitbildern oder Projektentwürfen abholen. Kommentare können direkt in den jeweiligen Dokumenten und Plänen erfasst werden, so dass sich Stellungnahmen effizient und kollaborativ auswerten lassen. Andere Gemeinden – so zum Beispiel die Städte Zürich und Luzern – setzen auf die open source Software Decidim. Diese wurde von der Stadt Barcelona aufgebaut und einer weltweiten Community weiterentwickelt und kommt sowohl in kleinmassstäblichen Quartieren wie auch auf nationaler Ebene oder in NGOs zum Einsatz. Und auch der digitale Dorfplatz von Crossiety wird in diversen mittleren und kleineren Gemeinden der Schweiz, in Nachbarschaften, Vereinen und anderen Gruppen als Kommunikationsplattform genutzt. Daneben stehen viele weitere Tools zur Verfügung, die sich teilweise kombinieren lassen. Doch auch mit ePartizipation lassen sich nicht alle Bevölkerungsgruppen abholen. Es empfiehlt sich deshalb, Online- und Offline-Angebote zeitlich unterschiedlich miteinander zu kombinieren.


Neue Wege ausprobieren

Ob Lernender Park im Berner Stadtteil Holligen Nord, projet Métamorphose in Lausanne, oder LABöR in der Gemeinde Lyss: es werden aktuell viele innovative Settings ausprobiert und zukunftsweisende Erfahrungen gesammelt. Die zunehmende «Mitmach»-Kultur stellt Verwaltungen vor Herausforderungen, eröffnet aber gleichzeitig viele Chancen. Wie das 1800-Seelen-Städtchen Lichtensteig seit Jahren eindrücklich zeigt, kann Partizipation für eine Gemeinde auch entlastend sein – vor allem wenn sie bottom-up erfolgt und sich die Behörden primär als Ermöglicher sehen. Wenn sich Menschen in ihrer unmittelbaren Lebenswelt aktiv einbringen können, identifizieren sie sich viel eher damit und sind zufriedener.


Partizipationsprozesse laufen längst nicht immer rund und bedeuten viel Arbeit. Damit Projekte trotz oder gerade dank eines partizipativen Verfahrens zügig vorankommen, müssen von Anfang an klare Spielregeln kommuniziert sowie Möglichkeiten und Grenzen der Partizipation aufgezeigt werden. Eine freiwillige Mitwirkung darf nicht der reinen Akzeptanzbeschaffung dienen, kann aber die Akzeptanz eines Projektes erhöhen, Problemfelder aufzeigen und die Planungssicherheit verbessern. Werden Betroffene zu ernst genommenen Beteiligten, so führt dies nicht automatisch zu Verzögerungen, sondern vielmehr zu einer nachhaltigen Projektoptimierung. Was es dazu vor allem braucht, ist eine aktive Kommunikations- und Beziehungsarbeit.

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sanu future learning ag, Claudia Vogt 7. April 2023
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